Ein Gespräch von Dirk Luckow mit Jörg Vester, Juni 1993
DL: Ich erkenne in den Gegenständen auf Deinen Bildern Schaumstoffmatten, Bretter, verbogene oder gebrochene Metallstäbe, „Strandgut des Industriezeitalters“.
JV: Die Gegenstände kommen aus einem alltäglichen Bereich, aus einer universellen Verfügbarkeit technoider Formen, und die gibt es natürlich so, wie sie da auf den Bildern sind, nicht. Dort erscheinen sie als Versatzstücke, als Fragmente.
DL: Was interessiert Dich an ihrer Darstellung?
JV: Da ist eine Kälte oder Härte, die mich an diesen Gegenständen interessiert. Es sind ja Gegenstände, die banal sind, die eine emotionale Besetzung fast ausschließen. Wer hat schon eine emotionale Beziehung zu einer Matratze? Aber das Kaputte ist mit Sicherheit darin. Das hat auch mit der Art und Weise zu tun, wie ich meine Bilder baue, nach diesem Prinzip des Kaputtmachens. Aber eigentlich sind diese Gegenstände neutral, nicht besetzt, sind, wie Du auch sagst, nicht wertig. Sie sind weggeschoben vom Betrachter, in einem entrückten Zustand.
DL: Gibt es über das Prinzip des „Kaputtmachens“ nicht doch einen sehr persönlichen Bezug, etwa zu dem Industriegebiet, wo Du herkommst?
JV: Ich komme aus einer Stadt, die früher industriell wichtig gewesen ist (Hilden). Wir sind da immer viel herumgeturnt in den verlassenen Fabrikhallen, und da ist natürlich ein Interesse an diesen Gegenständen, die nicht das bieten, was normalerweise immer draußen zu sehen ist. Sie sind nicht schön, nicht glatt, nicht schick, sie haben keinen glatten Oberflächenreiz. Diese Sachen, die interessieren mich auch heute noch. Das Kaputte oder diese Patina. Wenn man beispielsweise in der Malerei so eine Patina herstellen könnte, das wäre etwas Wunderbares, aber es geht natürlich nicht.
DL: Die Darstellung der Gegenstände auf Deinen Bildern erinnert zuweilen an wuchernde Pflanzenformen.
JV: Die Gegenstände, die ich nehme, sind Rohentwürfe, mit denen man eine Menge machen kann. Wenn sich die Bildkörper dann in eine andere Weise entwickeln, ist eigentlich nur deutlich, dass mich die Malerei oder der Malprozess interessiert und wie die Farbe da einsetzbar ist. Die Wirkung, die sich dann ergibt, ist nicht planbar. Wenn man so etwas planen würde, dann gäbe es eine Illustration, aber daraus entstehen keine Bilder. Man muss sich schon diesem Prozess ausliefern, und diesen Punkt, den muss man aushalten und realisieren.
DL: Ist das auch ein ungesteuerter Vorgang?
JV: Das kann zum Teil auch ungesteuert sein. Man ist natürlich immer daran interessiert, ob das geht oder nicht, ob man das weiterentwickeln kann. Ob man eine Form autonom, als Farbkörper oder Farbspeicher, realisieren kann. Da muss man alles in die Waagschale schmeissen, was man hat.
DL: Mir scheint, dass Du Dich – in Abgrenzung zu einer expressiven Malerei in den 1980er Jahren, die entweder gesellschaftsbezogen oder mythologisierend ausgerichtet war – wieder mehr auf farbliche und formale Qualitäten besinnst?
JV: Also, ich plane meine Bilder ziemlich genau. Ich spiele vorausgeplante bildnerische Situationen durch. Ich versuche, kombiniere, stückle, es ist eigentlich mehr eine Versuchsreihe, was geht, was funktioniert nicht. Aber ich lasse das schon über solche Farbqualitäten laufen.
DL: Die Gegenstände scheinen aus der Bewegung zu kommen, als Teil einer Turbulenz, die über die Bildgrenzen räumlich fortsetzbar ist. Sind Deine Bilder auf diese Wirkung hin angelegt?
JV: Die Malerei spiegelt einen Raum vor, den es gar nicht gibt. Meine Malerei operiert über mehrere Bilder, über Bilderserien. Und da ist auch ein Konzept der Abfolge enthalten. Insofern hat das auch mit einem imaginären Raum zu tun. Aber wichtiger ist es, wie die Malerei den Raum erzeugt oder wie sich die Gegenstände dem imaginären Raum verweigern. Manchmal schaffen sie den Raum auch erst. In dieser Ambivalenz könnte ich etwas mit dem Begriff ‚Raum‘ anfangen.
DL: Du konzentrierst Dich meistens auf eine Kombination weniger Farben, die Du in einer Serie von Bildern durchspielst. Welche Kriterien gibt es für die Auswahl der Farben?
JV: Mich interessiert es nicht, Farben so auszutarieren, dass ein schöner Farbklang entsteht. Das interessiert mich überhaupt nicht. Sondern, wie ich eine bestimmte Farbe einsetzen kann, um eine Wirkung zu erzielen, die adäquat zu dem ist, was ich bezüglich der Schärfe der Gegenstände gesagt habe. Wie kann ich eine Farbe so direkt wie möglich einsetzen? Das ist meine Herangehensweise. Bei der Serie der gelben Bilder interessierte mich, wie ein Hintergrund sein kann, der malerisch kurz vor dem Nullpunkt ist. Es gibt diese Roste darauf, die eine Schärfe haben und fast unplastisch wirken. Und dann habe ich etwas gesucht, was Hand in Hand geht mit dieser Flachheit. Ich wollte keinen blühenden, atmenden Hintergrund, sondern einen eher industriellen Anstrich. Da war es am interessantesten, den Hintergrund abzuisolieren, mit diesem Gelb, das keine Tiefe zulässt. Es ist nicht das ‚Schmincke‘-Gelb Nr. sowieso, nicht das überlieferte ‚van-Gogh‘-Sonnengelb, sondern ein flaches Anstrichgelb. Deshalb habe ich es genommen.
DL: Was ist für Dich die zentrale Kategorie Deiner Malerei?
JV: Ich möchte es mal andersherum sagen. Man kann sich viel zur Malerei überlegen. Aber was man dann tatsächlich malt, das funktioniert eigentlich nicht so, wie man es sich ausgedacht hat. Und irgendwann kommt man vielleicht zu dem Punkt, wo man die gemalten Gegenstände in einem so nichtigen, komischen Zustand hält. Wenn sie vielleicht sogar falsch oder überzogen sind, das Bild dann aber trotzdem noch interessant oder irgendwie merkwürdig ist – vielleicht sagt man, dass es maniriert, blöde oder langweilig ist – da wird es dann interessant für mich. Weil ich dann Malerei einsetze, die ich mir vorher nicht ausdenken kann.



