Jörg Vester

Vorübergehende Erlebnisse in der Zeit

Blattwerk – Elisenturm

8. September 1997

Ausstellung im Elisenturm

Christiane Müller, Zur Ausstellung Blattwerk (31.07. – 07.09.1997), Elisenturm Botanischer Garten Wuppertal-Elberfeld: „Auf Leinwand, in Himmelblau wie etwa hier ganz oben, malt er schon auch. Vornehmlich aber auf Papier, auf langen, dem Zuschnitt seiner Ausstellungsräume angemessenen Bahnen.


Im Atelier legt Jörg Vester sie übereinander und setzt – das Wort „Setzung“ ist ihm sehr wichtig – die erste Form, den ersten Umriß in Acrylfarbe darauf.

Bedeutungsloser, banaler könnte ein Ding nicht sein, dem diese Form entstammt. Inzwischen eine Art Selbstläufer in Vesters Werk, geht sie doch auf eine jener Gummimatten zurück, wie sie in zahllosen Spülsteinen zum Schutz des Zerbrechlichen üblich sind.

Irgendwann hat Vester so ein Ding gefunden und wie spielerisch zerschnitten, er hat die Teile gedehnt und sie hängend auspendeln lassen. Wo vordem Löcher waren, kreisrund und in vorgefertigter Ordnung verteilt, ergaben sich Ovale in Schlingen und Schleifen, wo Fläche war, entstand etwas Räumliches, was im festen Verbund des Lochmusters stand, schien von da an – herrenlos, ohne rechten Anfang und Ende – neuen Anschluss zu suchen.

Innenansicht Blattwerk, Elisenturm 1997Derart aus der Form gebracht, war das Gebilde offen für neue Formen und jede Art der Einlassung – ein neuer Sinn ergab sich darum nicht. Denn Vesters Setzungen haben ihren Sinn nur darin, Setzung zu sein, eine Regel zu geben und diese Regel am Ende in aller Freiheit zu unterlaufen.

Gleichwohl hält er sich daran. Und wenn sich bei der Papierarbeit am Boden die Blätter verschieben und die Linie sich auf das darunterliegende verirrt, nimmt er auch das als Vorgabe, als Ansatz für das nächste Blatt, für dessen lineares Gerüst und eine zweite Farbschicht in Acryl.

Ausstellung im Elisenturm

Wie die sich verhält und was sich ergibt, wenn sie mit Ölfarbe zusammentrifft, ist so genau nicht vorherzusehen. Maler, die ähnlich experimentieren, sprechen darum auch vom „Eigenwillen der Farbe“, vom Material, das sich zuweilen selbst bestimmt und dem sie den Willen lassen – begierig darauf, was da zufällig und wie in geheimer Alchimie entsteht.

Bei Vester scheint fast Magie im Spiel – er denkt an rötliche, kunstvoll imitierte Marmorverkleidungen wie eben hier, er denkt sich Orchideen, Fuchsien, tropisches Gewächs, und die Farbe gerinnt, verteilt sich in Tropfen, Schlieren, Punkten über Acrylgrund und Papier, wird zum Gesprenkel wie im Dekor eines Blütenblattes, wie im Geäder von Stuckmarmor (…).

Es mit dem Elisenturm aufzunehmen, ist so einfach nicht. Mächtig und kompakt, sich selbst behauptend steht er da, streng gegliedert am Außenbau, feierlich fast im Inneren, dem Rund des Kuppelsaals. Im dekorativen Beiwerk freilich, den Rosetten, den Blattkapitellen und in der blütenähnlichen Bekrönung bezieht sich auch dieses rundum künstliche Gebilde auf die umgebende Natur.

Das ist anders als beim Pavillon am Hang schräg gegenüber. Auch den hätte sich Vester für seinen ersten Auftritt in Wuppertal aussuchen können. Den seit Jahren von Annelie Brusten als Galerie geführt, gehen die Künstler dort schon ebensolange auf die Besonderheit des Ortes ein, auf den klaren Gegensatz zwischen Natur und Architektur, Geschichte und Gegenwart. Kunstgewohnt, wäre der Pavillon, mit Vesters Augen betrachtet, eben darum weit weniger offen für seine Art der Einlassung, auch wäre der umgebende Park, als englischer Garten angelegt, eine Spur zu natürlich, der Kontrast mithin zu stark für Zwischentöne, wie er sie hier im „Blattwerk“ anschlägt (…).

Auch bei Vester scheint es zuweilen, als habe die Natur ihre Hand im Spiel, als wüchse da etwas aus chemischen Prozessen und nähme Farbe an, als würde es, nur sacht gesteuert, wie von selbst zur Orchidee (…).

o.T., 1997, ca. 190 x 550 cm, Öl/Acryl auf PapierWie nun einer diese Forderung erfüllt, nicht die Natur, sondern das ihr entsprechende auf die Leinwand oder eben: zu Papier zu bringen – dafür gibt es keine Norm und Regel. Nur eben dies: im Kontakt zur Natur und ihren Gesetzen die Malerei als etwas vor Augen zu führen, das den eigenen Gesetzen und „Setzungen“ folgt, das in vielfacher Beziehung zur Wirklichkeit steht, doch unabhängig von ihr sich die neue Wirklichkeit, die neuen Paradiese erschafft. Cezanne hat das vor hundert Jahren gefordert und damit den ersten Schritt zur Autonomie der Kunst getan. Zu jener Autonomie, die in diesem Kunstsommer – in Kassel, Münster und Venedig – zur Debatte steht. Dort ist sie oder scheint sie zumindest abgelöst von dem, was sich unter dem Stichwort „Kontext“ bis zur Deckungsgleiche wieder mit der Wirklichkeit einläßt. Auch in Kassel ist von der Natur die Rede und bei einem Künstler wie Lois Weinberger ist sie schlichtweg der Fall: als Unkraut, in Samentüten oder wildwuchernd am Bahndamm, den Asphalt sprengend nicht weit davon. Der heiße Sommer hat ihm arg zugesetzt, die 100 Tage wird es kaum überstehen.

Anders bei Vester. Für die Ewigkeit sind seine Blätter nicht gedacht, etwas Vergängliches, Verwehbares haftet auch ihnen an. o.T., 1997, ca. 200 x 300 cm, Öl/Acryl auf PapierSchon im Material ist beides angelegt und es wird, in der „hingewehten“ Installation weiter oben, nahezu wörtlich ausgesprochen. Gleichwohl behauptet sich bei ihm die Malerei in ihrer Autonomie, ihrem Anspruch auf das eigenständig Andere, das es pfleglich zu bewahren gilt – so, wie es in einem Hort, einem Garten geschieht, darin Regel und Freiheit gleichermaßen gelten.

Ich habe Jörg Vester nicht gefragt, ob er je an die gedankliche Verbindung zwischen Garten und Malerei gedacht hat. Es spielt wohl auch keine Rolle, denn jetzt, an diesem besonderen ort, gehört beides und kommt vieles zusammen: Vesters Malerei als Vermittler zwischen Außen und Innen, der Sonntag heute und ein Sommer, der in der kurzen Woche dieser Ausstellung schon ein wenig kippt, der Elisenturm in seiner klaren Ordnung und Präsenz – ein Hüter gleichsam des umgebenden Gartens, dieser wundersamen Mischung aus Lehrstück und Paradies.“